Zwischen Freiheit und Verbindlichkeit: Nähe-Distanz-Probleme beim Kennenlernen und in der Beziehung
Zu einer Beziehung gehören Zeit zu zweit genauso wie die Freiheit, auch allein etwas zu unternehmen. Also ein harmonisches Gleichgewicht aus Nähe und Distanz. So empfinden es auch vier von fünf Befragte unserer Studie, die kein Problem damit haben, wenn der*die Partner*in unter der Woche oder am Wochenende einen Abend oder Tag allein verbringt. Wenn das beide Partner*innen jedoch verschieden sehen und ein ganz unterschiedliches Nähebedürfnis haben, sorgt das durchaus für Konflikte. Wie du beim Kennenlernen und in der Partnerschaft mit solchen umgehst, erfährst du hier.
Wie sich im Laufe der Beziehungsphasen ein Nähe-Distanz-Problem entwickeln kann
Ganz grundsätzlich ist es so, dass wir alle mit einem individuellen Bindungsstil in eine Kennenlernphase gehen. Diesen Bindungsstil entwickeln wir bereits in unserer frühen Kindheit1 . Denn die Bindung zu unseren Eltern ist entscheidend für unsere eigenen Bedürfnisse in späteren Beziehungen. Eine sichere Bindung zu bedürfnisorientierten Eltern führt später oft zu einem ausgewogenen Bedürfnis nach Nähe und Distanz und einem sicheren Bindungsstil. Gehen Eltern eher gleichgültig damit um, wenn ihr Kind weint, kann das zu einem stärkeren Nähebedürfnis und einem Nähe-suchenden Bindungsstil führen. Wird ein Kind stattdessen dauerhaft überbehütet und darf sich nicht selbstverwirklichen, kann im Erwachsenenalter das Distanzbedürfnis stärker ausgeprägt sein – ein vermeidender Bindungsstil entwickelt sich. Doch was bedeutet das für die verschiedenen Phasen einer Beziehung?
In der Kennenlernphase und in den ersten, „frisch verliebten“ Monaten als Paar steht oft für beide das Bedürfnis im Mittelpunkt, am liebsten jede freie Minute miteinander zu verbringen. Bei Menschen mit sicherem Bindungsstil reguliert sich diese Nähe oft von selbst. Doch wenn zwei Parter*innen mit unterschiedlichem Beziehungsstil zusammenkommen, liegt darin oft der Grundstein für ein Nähe-Distanz-Problem im Verlauf der Partnerschaft. Nämlich dann, wenn nach den ersten Monaten die Zeit zu zweit nicht mehr alleine im Fokus steht, sondern etwa Freundschaften, der Job oder Hobbys wieder mehr Zeit in Anspruch nehmen. Gleichzeitig verändert sich auch unser Bedürfnis nach Nähe und Distanz in verschiedenen Lebensphasen, was immer wieder Konfliktpotenzial mit dem*der Partner*in bergen kann. Und auch neue Lebensumstände wie ein Umzug in eine andere Stadt oder die Familiengründung können das bisher bestehende Gleichgewicht ins Wanken bringen und für ein Nähe-Distanz-Problem in der Beziehung sorgen.
Konkrete Anzeichen für einen Nähe- und Distanz-Konflikt
Gut zu wissen: Auch wenn sich unser Bedürfnis immer wieder verändert, kannst du bereits während eures Kennenlernens anhand kleiner Anzeichen erkennen, wie dein Gegenüber in Bezug auf Nähe tickt. Und auch im Verlauf der Beziehung gibt es immer wieder Hinweise, die euch frühzeitig auf einen möglicherweise entstehenden Konflikt aufmerksam machen können.
Anzeichen in der Kennenlernphase
- Euer Kennenlernen besteht aus einem kontinuierlichen Mix aus viel Kontakt und längeren Phasen der Funkstille.
- Dein Gegenüber ist von Beginn an sehr einnehmend – schreibt dir also beispielsweise unentwegt oder würde dich am liebsten täglich sehen.
Hinweise in der Verliebtheitsphase
- Ihr seid schon über das Kennenlernen hinaus und es entwickeln sich mehr Gefühle – doch es gibt immer wieder Phasen, in denen dein Gegenüber Fragen nach Treffen ausweicht oder keine Verabredungen mehr von sich aus vorschlägt.
- Es hat bei euch beiden gefunkt, aber trotzdem fehlt von einer Seite aus eine echte Verpflichtung zu einer Beziehung.
Anzeichen in Langzeitbeziehungen
- Dir fällt auf, dass sie*er sich zurückzieht und plötzlich weniger Nähe zulässt – sowohl körperlich als auch auf emotionaler Ebene.
- Ihr habt häufiger Konflikte und viele Missverständnisse.
- Dein*e Partner*in gewährt dir wenig Freiraum, braucht viel Bestätigung und neigt dazu, dich zu kontrollieren.
Angst vor Nähe? So gehst du beim Kennenlernen mit einer Nähe-Distanz-Bindungsstörung um
Ein Nähe-Distanz-Problem kann bereits in der Kennenlernphase zu emotionaler Überforderung führen – denn je enger und verbindlicher euer Miteinander wird, desto stärker treten typische Beziehungsmuster wie Bindungsangst in den Vordergrund. Fällt dir in euren Dates mehr und mehr auf, dass es hier ein Ungleichgewicht gibt, helfen folgende drei Tipps:
- Such ein offenes Gespräch und sprich das Thema Nähe und Distanz in eurer zukünftigen Beziehung ehrlich an. So könnt ihr gemeinsam klären, wie ausgeprägt das Ungleichgewicht zwischen euch ist und ob vielleicht bereits kleine Kompromisse ausreichen, um auf beiden Seiten für Sicherheit und ein gutes Gefühl zu sorgen.
- Klärt ab, ob ihr bereit seid, eigene Themen anzugehen. Denn am in der Kindheit erlernten Bindungsstil und daraus hervorgehenden Symptomen von Bindungsangst oder gar einer Persönlichkeitsstörung kann immer nur die betroffene Person selbst arbeiten – nicht der*die Partner*in.
- Hinterfrage ganz bewusst, ob er*sie die richtige Person für eine Beziehung ist. Denn fühlst du dich von Anfang an von der Liebe eingeengt oder bist stark verunsichert dadurch, dass er*sie sich distanziert, kann das für eine Partnerschaft zu einem kräftezehrenden und anhaltenden Beziehungsproblem werden.
4 Tipps, um ein Nähe-Distanz-Problem in eurer Beziehung aufzulösen
Wie schon beschrieben ändert sich unser Beziehungsverhalten ständig – und so kann es auch sein, dass erst im Laufe der Partnerschaft ein Ungleichgewicht bezüglich Nähe und Distanz auftritt. Das kann etwa durch kleinere Beziehungskrisen begünstigt werden, oder durch große Veränderungen eures Miteinanders, etwa durch einen Umzug, einen neuen Job oder ein Kind.
Ideen für kurzfristige Lösungen
- Verschaffe deinem*deiner Partner*in ein Wochenende voller Nähe oder Freiraum – abhängig davon, ob gerade sein*ihr Bedürfnis nach Distanz oder Nähe besonders groß ist. Manchmal hilft schon ein Wochenendtrip mit Freund*innen oder ein typischer Pärchentag, um wieder mehr Gleichgewicht in euer Miteinander zu bringen.
- Sprecht offen über konkrete Wünsche – das kann sowas sein wie mehr Zärtlichkeit im Alltag oder ein freier Abend pro Woche – und plant diese fest in eure gemeinsamen Routinen ein.
Tipps für langfristige Lösungen
- Arbeitet intensiver an eurer Beziehung. Denn oft ist ein plötzlich auftretendes Nähe-Distanz-Problem ein Zeichen davon, dass eure Bindung gerade nicht ganz so eng ist. Und daran könnt ihr gemeinsam gut gegensteuern.
- Holt euch bei Bedarf Unterstützung in einer Paartherapie, wenn das Thema viel Raum einnimmt und ihr es zu zweit nicht aufgelöst bekommt.
Fazit: Mit viel Offenheit und aktiver Beziehungsarbeit schafft ihr ein Gleichgewicht aus Nähe und Distanz
Ein unterschiedliches Bedürfnis nach Nähe und Distanz ist in Partnerschaften ganz normal. Denn schließlich lernen wir alle bereits in der frühen Kindheit durch die Beziehung zu unseren Eltern unseren ganz eigenen Bindungsstil. Unterscheiden sich die Partner*innen hierbei jedoch stark, dann kann ein Nähe-Distanz-Problem vorliegen – das tritt durchaus auch erst im Verlauf einer Beziehung auf. Doch wenn ihr bereit seid, dieses Thema aktiv anzugehen, ist das längst kein Grund zur Trennung. Mit offenen Gesprächen, Kompromissbereitschaft und aktiver Arbeit an eurer Partnerschaft schafft ihr mehr Verständnis für eure jeweiligen Bedürfnisse und könnt euer Beziehungsproblem langfristig überwinden.